Durch die sogenannte Flüchtlingskrise droht die Finanzierung unseres Gesundheitswesens zu kollabieren“, schrieb die damalige AfD-Politikerin Frauke Petry 2016 auf ihrem Facebook-Profil. Martin Litsch, Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes, widersprach Petry: Es gäbe eine generelle Unterfinanzierung der Krankenkassen. Wie viel kostet also die Integration von Flüchtlingen in das deutsche Gesundheitssystem? Eine Übersicht zu den wichtigsten Fragen und Antworten.

Wer bekommt was wann?

Jeder Flüchtling hat in Deutschland Anspruch auf medizinische Versorgung. In den ersten 15 Monaten des Aufenthalts gilt dabei das sogenannte Asylbewerberleistungsgesetz. Dieses sieht eine medizinische Grundsicherung vor, die jedoch deutlich geringer ist als die eines gesetzlich Versicherten. So haben Flüchtlinge Anspruch darauf, bei akuten Schmerzen und Krankheiten behandelt zu werden. Außerdem stehen Schwangeren sowohl vor als auch nach der Geburt umfassende ärztliche und pflegerische Hilfe zu. In Einzelfällen können auch weitergehende Leistungen bewilligt werden. Chronische Krankheiten wie beispielsweise Rheuma oder Diabetes werden nicht behandelt, solange sie nicht zu akuten Schmerzen führen.

Nach 15 Monaten stehen Asylbewerbern die gleichen Leistungen wie Sozialhilfeempfängern zu: Sie erhalten eine Krankenkassenkarte, sind aber formal noch keine Mitglieder der Krankenkassen, da die Kosten weiterhin von den Kommunen getragen werden.

Wird ein Asylbewerber anerkannt, unterliegt er wie jeder andere auch der Versicherungspflicht und kann sich eine Krankenkasse aussuchen. Das gilt auch, wenn die 15 Monate noch nicht abgelaufen sind.

Wie hoch sind die Gesundheitskosten während des Asylverfahrens?

Diese Frage lässt sich nicht mit einer genauen Zahl beantworten: Die Ausgaben für Medizin und ärztliche Untersuchung werden oft nicht getrennt von den übrigen Ausgaben für Asylbewerber erfasst. Das Asylbewerberleistungsgesetz regelt nicht nur die Gesundheitsversorgung, sondern unter anderem auch die Unterbringung, die Verpflegung oder die Finanzierung von Sprachkursen. Die Gesamtausgaben für Asylbewerberleistungen beliefen sich im Jahr 2016 auf rund 9,2 Milliarden Euro.

9 , 2Milliarden EuroSo viel gab Deutschland 2016 für alle Asylbewerberleistungen aus.

In jenen Bundesländern, in denen die Gesundheitskosten separat erfasst werden, kommt man monatlich auf einen niedrigen dreistelligen Betrag pro Asylbewerber. So wurden in Bayern im Jahr 2016 monatlich im Schnitt 125 Euro pro Asylbewerber ausgegeben, während Hamburg 165 Euro zahlte. Allerdings sind auch diese Zahlen nur bedingt vergleichbar. Unterschiedliche Abrechnungssysteme und -zeiträume verhindern einen bundesweiten Vergleich.

Viele Bundesländer weisen zudem darauf hin, dass sie aus diesem Grund erst gar keine Pro-Kopf-Ausgaben ermitteln können.

Wer ist für die Finanzierung zuständig?

Kostenträger der Asylbewerberleistungen und damit auch der Gesundheitskosten sind die Kommunen. Sie bekommen die Ausgaben von den jeweiligen Bundesländern erstattet. Auch hier gibt es von Bundesland zu Bundesland Unterschiede: Während in einigen Ländern wie in Baden-Württemberg oder Bayern die Ausgaben auf den Cent genau vom Land übernommen werden, bezahlen andere Länder Pauschalbeträge an die Kommunen.

In Niedersachsen beträgt die Pauschale für alle Asylbewerberleistungen beispielsweise mindestens 10.000 Euro pro Jahr und Asylbewerber, wird aber bei Bedarf angepasst.

11 . 192EuroSo viel zahlte das Land Niedersachen ihren Kommunen je Asylbewerber und Monat im Jahr 2017.

Was hat es mit der elektronischen Gesundheitskarte auf sich?

Kosten entstehen für die Kommunen auch durch den zusätzlichen Verwaltungsaufwand, der durch die Abrechnung der Gesundheitsleistungen nötig ist. Der übliche Verfahrensweg sieht vor, dass Geflüchtete, die zum Arzt wollen, zunächst eine entsprechende Erlaubnis bei der zuständigen Kommunalbehörde einholen müssen. Nach einer erfolgten Behandlung rechnet der Arzt die entstandenen Kosten zunächst mit einer festgelegten Krankenkasse ab, die sich wiederum das Geld von der Behörde zurückholt.

Um dieses Verfahren zu vereinfachen und den Zugang zum Gesundheitssystem für Geflüchtete unbürokratischer zu gestalten, haben einigen Kommunen die sogenannten elektronische Gesundheitskarte eingeführt. Mit dieser können Asylbewerber ohne Umweg über das Amt direkt zum Arzt gehen. Die Abrechnung der Leistungen erfolgt über die Krankenkassen, die dafür einen festgelegten Betrag von den Kommunen bekommen.

Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte gleicht allerdings einem Flickenteppich. Zunächst können die Länder darüber entscheiden, ob sie die Rahmenbedingungen für die Einführung der Karte schaffen, was bisher in neun Bundesländern geschehen ist. Ist das der Fall, kann jede Kommune für sich entscheiden, ob sie Karte einführt oder nicht.

So hat sich zum Beispiel in Niedersachsen nur eine Kommune dafür entschieden. Ausnahmen bilden die drei Stadtstaaten, da hier keine vergleichbare Kommunalstruktur vorhanden ist sowie Schleswig-Holstein, das alle Kommunen zur Einführung der elektronische Gesundheitskarte verpflichtet hat.

Belasten anerkannte Asylbewerber das Gesundheitssystem?

Viele anerkannte Asylbewerber sind zunächst arbeitslos: Sie haben daher Anspruch auf Arbeitslosengeld II, das sogenannte Hartz IV. Fast 600 000 Geflüchtete  haben Ende 2017 diese Leistung bezogen. Für die Gesundheitsversorgung von Hartz IV-Empfängern zahlt der Bund den gesetzlichen Krankenkasse feste Beiträge aus Steuergeldern. Derzeit sind das 100 Euro pro Monat und Person

Die Krankenkassen beschweren sich bereits seit Jahren, dass dieser Beitrag nicht die Kosten decke. Einem Gutachten des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung für das Gesundheitsministerium von Dezember 2017 zufolge deckt der Betrag tatsächlich nur 38 Prozent der Ausgaben der Krankenkassen. Für den Rest müssen de facto die anderen Beitragszahler aufkommen.

14Prozentder Hartz IV-Bezieher kommen aus den acht Haupt-Asylherkunftsländern (Stand Mai 2017)

Anerkannte Asylbewerber, die arbeitslos sind, verschärfen dieses Problem. Experten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gehen davon aus, dass es 15 Jahre dauert, bis Flüchtlinge am Arbeitsmarkt vergleichbar gut integriert sind wie Deutsche oder andere Ausländer.

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) glaubt dagegen, dass sich die Zuwanderung von Flüchtlingen und EU-Bürgern langfristig positiv auf die finanzielle Stabilität der Kassen auswirkt: „Da die zugewanderten Neumitglieder jünger sind als der Durchschnitt aller gesetzlich Versicherten und darüber hinaus auch noch weniger Leistungen in Anspruch nehmen als die gleichaltrigen bisherigen Versicherten, führen sie zu einem doppelten Entlastungseffekt“, sagt Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes.

Bilder: Philipp Döring/open.med